Triggerpunkt einer Generation: Streamingdienste sollen ins Schweizer Filmgeschäft investieren. Lex Netflix: die grosse Chance? Lucio Sansano (Jungfreisinnige Baselland) und Nino Russano (Juso Basel-Stadt) diskutieren.
BaZ Streitgespräch – 04.05.2022 – Benjamin Wirth, Foto: Nicole Pont
Es erscheint logisch, dass im Abstimmungskampf zu Lex Netflix vor allem die Jungen für Furore sorgen. Geht es doch um eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen: Filme und Serien anschauen – an regnerischen und nicht so regne rischen Tagen. Nachdem das Parlament sich für eine Änderung des Filmgesetzes ausgesprochen hatte, waren es die Jungparteien von FDP, SVP und GLP, die das Referendum ergriffen. Die Freiheit von Konsumenten würde eingeschränkt, beanstandet das Komitee, in dem auch der Präsident der Baselbieter Jungfreisinnigen, Lucio Sansano (21), sitzt und aktiv mitwirkt. Mit ihm und dem Basler Juso-Präsidenten Nino Russano (21), einem Befürworter, haben wir über das Gesetz, Schweizer Filme und den Einfluss der Jungen gesprochen.
Herr Russano, haben Ihre Eltern Ihnen früher vorgeschrieben, was für Filme oder Serien Sie schauen dürfen? Russano: Grundsätzlich musste ich mit keinen Einschränkungen leben. Ich hatte immer einen freien Medienkonsum, auch die Fernsehzeit wurde bei mir sehr locker gehandhabt.
Was bei Ihnen daheim nicht gewesen ist, könnte uns bald bevorstehen. Zumindest befürchtet die FDP, dass dem Zuschauer bei einem Ja zum Filmgesetz vorgeschrieben würde, was man zu schauen habe.
Russano: Damit irren sich die Freisinnigen. Der Staat schreibt niemandem vor, was für einen Film oder welche Serie man auf dem eigenen Streamingdienst zu schauen hat. Es geht einzig und allein darum, wie sich das Angebot zusammensetzt: Die Mindestquote führt sicher nicht dazu, dass Produktionen aus anderen Weltregionen verdrängt werden.
Einen anderen Standpunkt vertreten Sie, Herr Sansano. Sie sprechen von «Pflichtkonsum».
Sansano: Man kann es formulieren, wie man will. Ab dem Moment, an dem eine Quote eingeführt wird, greift der Staat in die Privatwirtschaft ein. Dabei ist es der Nutzer, der sich mit seinem eigenen Geld für ein konkretes Abonnement entscheidet – es ist nicht die Aufgabe des Staates, dieses Angebot zu regulieren. Bei einem VolksJa würde Konsu menten von privaten Streamingdiensten neu vorgeschrieben, was sie konsumieren sollen. Dagegen wehre ich mich.
Die Basler Filmemacherin Stella Händler bezeichnete die Vorlage als Zukunftsperspektive für junge Produzenten. Zugleich haben bürgerliche Jungparteien das Referendum ergriffen. Wie passt das zusammen?
Sansano: Wir, die Jungen, sind die Generation Netflix, die mit Streaming aufgewachsen ist. Wir möchten verhindern, dass das Angebot nicht mehr den eigenen Vorstellungen entspricht. Umfragen zeigen, dass eine deutliche Mehrheit der jungen Generation das Gesetz ablehnt. Lokale Filmemacher wollen es vielleicht nicht hören, aber: Auf den Streamingdiensten sind Schweizer Produktionen bereits mit 10 Prozent vertreten. Konsumiert wer den jedoch nur 0,4 Prozent. Die Nachfrage nach nationalen Filmen ist bei Netflix und Co. ein deutig nicht da.
Russano: Generell zu sagen, die Jungen würden sich gegen die Vorlage wehren, ist falsch. Es sind nur die bürgerlichen Jungpartei en. Andere haben überhaupt kein Problem damit. Das Filmgesetz ist im übergeordneten Sinn nämlich Kulturförderung, was auch für die Jungen wichtig ist.
«Ich bin überzeugt, dass wir nicht nur mit Geld erfolgreiche Produktionen erzielen. Es braucht gute Ideen.» – Lucio Sansano
Sie, Herr Russano, finden, Bürgerliche wollen die Schweizer Kultur nicht unterstützen?
Russano: Klar ist: Die Bürgerlichen sehen das Filmgesetz nicht als Teil der Kulturförderung an. Vor allem den Freisinnigen werfe ich vor, dass sie keine Quote oder gezielte Förderung möchten. Sie unterstützen nur das, was Profit erzielt, das, was gut verkauft wird – die Bestseller. Dem kann ich nicht zustimmen. Es ist wichtig, dass auch die weniger rentablen Inhalte eine Chance bekommen. Sansano: Es ist nicht so, dass ich grundsätzlich gegen eine Film förderung bin. Überhaupt nicht. Ich finde sie sogar sehr wichtig. Aber Schweizer Produktionen werden bereits heute mit 120 Millionen Franken durch die Medienabgabe und über Steuern unterstützt. Dann muss ich sagen: Irgendwann reicht es. Braucht es wirklich eine weitere Filmsteuer? Russano: Wir sprechen von vier Prozent des Umsatzes, insgesamt von rund 18 Millionen Franken, die die Streamingdienste abgeben müssten. Mit dieser – im Vergleich – kleinen Summe könnte ein toller Mehrwert geschaffen werden: Die verstärkte Förderung in Qualität und Quantität des Films sollte man begrüssen.
Herr Sansano, gerade für die Freisinnigen geht es bei dieser Abstimmung auch um grundsätzliche Fragen wie: Wie viel Einfluss soll der Staat in der Privatwirtschaft bekommen? Geht unter diesem Deckmantel nicht der Kern des Anliegens verloren?
Sansano: Mir geht es vor allem um die Sache, nicht um eine Grundsatzdiskussion. Natürlich bin ich auch im Allgemeinen gegen Quoten und Investitionsverpflichtungen. Aber wir verschliessen wegen irgendwelcher Ideologien nicht unsere Augen.
Dann erklären Sie mir, wie nationale Filmproduktionen ohne die Gesetzesrevision durchstarten sollen.
Sansano: 90 Prozent der Länder in Europa haben keine oder eine kleinere Investitionspflicht, als wir sie bekommen würden. Den noch werden dort gute Serien und Filme produziert. Etwa «The Crown» in England oder «The Witcher» in Polen. Ich bin überzeugt, dass wir nicht nur mit Geld erfolgreiche Produktionen erzielen. Es braucht gute Ideen. Ganz einfach. Wird die Vorlage angenommen, würde der Filmlobby der rote Teppich ausgerollt. Die Branche könnte sich auf Subventionen verlassen, ohne ein unternehmerisches Risiko zu tragen. Ist das fair?
Russano: Das hat nichts damit zu tun. Bei einem Nein verpassen wir eine grosse Chance. Jetzt haben wir die Möglichkeit, mehr Geld für aufwendigere Produktionen und qualitativ bessere Filme zur Verfügung zu stellen. Ausser dem: Das, was mit der Gesetzes revision passieren würde, zahlt nicht einmal der Steuerzahler.
Wie muss ich das verstehen? Macht es sich die Filmbranche nicht zu einfach, indem sie lediglich mehr Geld fordert?
Russano: Nein. Das neue Gesetz ist ein guter Weg, die Filmbranche zu fördern, ohne dass die Kon sumenten dafür zahlen müssen. Zudem müssten die bis anhin privilegierten Streamingdienste dann auch ihren Beitrag abgeben, wie es die TV-Sender bereits tun.
Sansano: Da widerspreche ich stark. Natürlich werden die Steuerzahler und die Konsumenten indirekt belastet. Wenn ein Unternehmen auf den Umsatz eine Abgabe zahlen muss, wird es diese auf den Kunden abwälzen. Das Unternehmen hat keinen Anreiz, bei uns weniger zu verdienen.
Russano: Ich denke nicht, dass ein Streamingdienst deswegen seine Abonnementspreise erhöhen wird. Die Anbieter wollen attraktiv bleiben. In der Gesamtschau – gerade für die grossen Anbieter – wären diese Abgaben nicht ausschlaggebend. Alles andere ist Angstmacherei.
Sansano: Nein, ist es nicht! Die Investitionspflicht ist mit vier Prozent doppelt so hoch wie der Durchschnitt in Europa.
Die Streamingdienste würden bei einem Ja verpflichtet, Inhalte aus ganz Europa
zu senden. Eine Mindestquote für inländische Produktionen sieht das Gesetz nicht vor. Dennoch haben Sie beidefast nur über nationale Inhalte gesprochen. Mich nimmt wunder: Welchen Schweizer Film haben Sie zuletzt gesehen?
Russano: Mhm. (überlegt) Gute Frage. Das weiss ich gerade nicht.
Sansano: Bei mir war es «Die Schweizermacher» oder auch die Serie «Tschugger» …
Russano: … ah, ja. Davon habe ich Ausschnitte gesehen.